Kurt Schumann

Am Ende seines Lebens habe ich begriffen, dass mein Vater ein Held war. Ein gewichtiges, ungewöhnliches und seltenes Wort in meinem Sprachschatz, aber so ist es halt. Er war in echter Held voller Tapferkeit, denn er hat sich nie beklagt oder gejammert, obwohl in den letzten Monaten vieles in seinem Leben schiefgelaufen ist, wo ich selber geklagt, gejammert oder schwer gehadert hätte. So aber nicht mein Vater. Ich habe ihn dafür unglaublich bewundert und ihn dies auch wissen lassen. Und es ist gut zu wissen, dass er diese Achtung auch gespürt hat.

Im letzten Jahr verlor er sein Augenlich fast gänzlich, konnte nur noch Konturen und Farben wahrnehmen; seine Schwester ist verstorben ohne dass er persönlich bei ihrer Beerdigung Abschied nehmen konnte; er musste mit dem Rollstuhl vorlieb nehmen, um voran zu kommen und sich auf helfende Arme verlassen, wenn er ein paar Schritte mit dem Rollator gehen wollte. Seine Beine waren einfach zu schwach, obwohl er mit Anleitung fleißig Muskelübungen angegangen ist. Aber wir waren zu spät, mein Vater und ich. Ein zweiwöchiger Aufenthalt im Bett eines Krankenhauses im 'zarten Alter' von Mitte 90 ist eine enorme Hürde, die er einfach nicht mehr nehmen konnte. Trotzdem hat er den Mut nicht verloren, mit mir vielleicht doch noch eines Tages die Treppe zu meiner Wohnung zu schaffen, um dort nachmittags gemeinsam einen Kaffee zu trinken und vom Balkon in den Garten hinunter zu schauen...

Mein Vater war zeitlebens ein fröhlicher und sogar witziger Mensch, jedenfalls soweit ich das als sein Sohn überblicken kann. Sein Humor war sensationell und niemals war er eingebildet oder tat wichtig. Er war stets bescheiden und hilfsbereit - und das ist die Wahrheit! Mein ganzes Leben hat er mir den Rücken freigehalten, in seinem Schutz durfte ich sorgenfrei aufwachsen. Ach, es gibt so viele Geschichten aus meiner Kindheit und Jugend, woran ich heute nur staunend und beinahe schon ehrfürchtig denken muss, wenn ich sie mir in Erinnerung rufe. Oh ja, ich hatte einen tollen Vater. Wirklich, wirklich und ganz gewiss!

Und dass Du zuhause im Kreise Deiner kleinen Familie Deinen letzten Atemzug tun durftest und nicht an einem anderen unpersönlichen oder unbekannten Ort, dass Dir Schmerzen erspart blieben, dass Du ihn Ruhe und Frieden gehen durftest, dafür danke ich Gott. Und das gibt mir großen Trost über Deinen Tod hinaus.